Die GOÄ-Ziffer 101 beschreibt die eingehende Leichenschau. Sie ist eine der verantwortungsvollsten und formal anspruchsvollsten ärztlichen Tätigkeiten. Die Leistungslegende definiert die Ziffer als: „Eingehende Untersuchung eines Toten und Ausstellung einer Todesbescheinigung, einschließlich Angaben zu Todesart und Todesursache gemäß landesrechtlicher Bestimmungen, gegebenenfalls einschließlich Aktenstudium und Einholung von Auskünften bei Angehörigen, vorbehandelnden Ärzten, Krankenhäusern und Pflegediensten (Dauer mindestens 40 Minuten), gegebenenfalls einschließlich Aufsuchen (eingehende Leichenschau)“.
Die Abrechnung der GOÄ 101 ist an strenge formale Kriterien gebunden. Eine zentrale Voraussetzung ist die Mindestdauer. Die Vorbemerkung zur Ziffer konkretisiert dies:
Dauert die Leistung nach Nummer 101 weniger als 40 Minuten (ohne Aufsuchen), mindestens aber 20 Minuten (ohne Aufsuchen), sind 60 Prozent der Gebühr zu berechnen.
Unterschreitet die Dauer 20 Minuten oder fehlen wesentliche Angaben auf der Todesbescheinigung, ist nach herrschender Kommentarlage nur die GOÄ 100 (vorläufige Leichenschau) abrechenbar. Die Zeitmessung beginnt mit dem Eintreffen am Leichenfundort und endet mit der finalen Unterschrift auf der Todesbescheinigung. Alle Tätigkeiten in diesem Zeitraum, wie die Untersuchung selbst, das Gespräch mit Angehörigen oder das Sichten von Unterlagen, zählen zur Leistungszeit.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist, dass die Ziffer 101, wie auch die Ziffer 100 und der Zuschlag 102, nur mit dem einfachen Gebührensatz berechnungsfähig ist. Eine Steigerung ist ausgeschlossen.
Die Durchführung einer Leichenschau ist eine ärztliche Pflicht, die mit hoher Sorgfalt und Empathie verbunden ist. Die korrekte Abrechnung sichert nicht nur die Honorierung dieser anspruchsvollen Tätigkeit, sondern beugt auch Beanstandungen durch Kostenträger vor. Hier finden Sie praxisrelevante Hinweise zur GOÄ 101.
Hausbesuch: Ein Hausarzt wird von Angehörigen gerufen, da sein langjähriger Patient zu Hause verstorben ist. Der Arzt fährt zur Wohnung, führt die Untersuchung durch, spricht mit der Familie über die letzten Stunden und sichtet den Medikamentenplan, bevor er die Todesbescheinigung ausfüllt. Die Gesamtdauer beträgt 55 Minuten.
Einsatz im Pflegeheim: Der diensthabende Arzt wird nachts in ein Pflegeheim gerufen, weil ein Bewohner leblos im Bett aufgefunden wurde. Er stellt den Tod fest, untersucht den Leichnam, spricht mit dem Pflegepersonal über Vorerkrankungen und den Hergang und füllt die Papiere aus. Dauer: 45 Minuten.
Notärztlicher Einsatz: Nach einer erfolglosen Reanimation stellt der Notarzt den Tod fest. Er führt die Leichenschau durch, dokumentiert die Umstände und füllt die vorläufige Todesbescheinigung aus. Da die genaue Todesursache unklar ist und die Zeit vor Ort nur 15 Minuten beträgt, rechnet er die GOÄ 100 ab.
Krankenhaus: Ein Patient verstirbt auf der internistischen Station. Der Stationsarzt führt die Leichenschau durch. Hier ist zu beachten, dass die Liquidation gegenüber den Erben nach ständiger Rechtsprechung nur mit Zustimmung des Krankenhausträgers erfolgen darf.
Die Abrechnung der GOÄ 101 birgt einige Fallstricke, die zu Kürzungen oder gar dem Vorwurf des Abrechnungsbetrugs führen können. Achten Sie besonders auf folgende Punkte:
Unterschreitung der Mindestzeit: Der häufigste Fehler ist die Abrechnung der vollen Ziffer 101 bei einer Dauer unter 40 Minuten. Dokumentieren Sie die Uhrzeiten (Ankunft und Abschluss) exakt. Liegt die Dauer zwischen 20 und 39 Minuten, müssen Sie 60% des Gebührensatzes ansetzen. Unter 20 Minuten ist nur die GOÄ 100 berechnungsfähig.
Falsche Kombination mit Aufsuchen (GOÄ 50): Das Aufsuchen ist explizit Bestandteil der Leistung nach GOÄ 101. Eine zusätzliche Abrechnung der GOÄ 50 ist daher ausgeschlossen und wird regelmäßig als fehlerhaft eingestuft.
Achtung – Abrechnungsausschluss: Die Nebeneinanderberechnung der GOÄ 101 mit den Ziffern für das Aufsuchen (GOÄ 48-52) ist nicht statthaft. Wie Dr. Klakow-Franck im Deutschen Ärzteblatt (12/01) klarstellte, kann dies den Vorwurf des Abrechnungsbetrugs nach sich ziehen. Ebenfalls ausgeschlossen sind u.a. die Untersuchungsziffern 5-8, die Beratung nach Nr. 60 sowie Bescheinigungen nach Nrn. 70, 75 und 80.
Eine lückenlose und nachvollziehbare Dokumentation ist der beste Schutz vor Rückfragen. Notieren Sie stichpunktartig den Ablauf in der Patientenakte. Dies dient nicht nur der Abrechnungssicherheit, sondern auch der rechtlichen Absicherung.
Mini-Dokumentationsbeispiel:
Datum: 15.10.2023
Leichenschau bei Max Mustermann, Musterstraße 1, 12345 Musterstadt.
Eintreffen am Ort: 14:10 Uhr.
Abschluss (Unterschrift Todesbescheinigung): 15:05 Uhr.
Gesamtdauer: 55 Minuten.
Tätigkeiten: Untersuchung des Leichnams (sichere Todeszeichen festgestellt), Gespräch mit Ehefrau zur Anamnese, Sichtung der Pflegedokumentation. Todesbescheinigung vollständig ausgefüllt.
Die GOÄ 101 ist nicht steigerungsfähig. Gemäß den Allgemeinen Bestimmungen des Abschnitts B.V. der GOÄ ist für diese Leistung zwingend der einfache Gebührensatz (1,0-fach) anzuwenden. Begründungen für einen erhöhten Aufwand können hier nicht geltend gemacht werden.
Obwohl die Ziffer selbst nicht gesteigert werden kann, können bestimmte Zuschläge und Kosten angesetzt werden:
Zuschläge für Unzeiten (F-H): Findet die Leichenschau nachts, an Wochenenden oder Feiertagen statt, sind die Zuschläge nach den Buchstaben F, G und/oder H neben der GOÄ 101 berechnungsfähig.
Wegegeld (§ 8 GOÄ): Für die zurückgelegte Wegstrecke zum Leichenfundort kann das Wegegeld nach § 8 GOÄ geltend gemacht werden.
Zuschlag bei unbekannter Leiche (GOÄ 102): Ist die Identität des Verstorbenen unbekannt und sind zur Identifizierung besondere Maßnahmen (z.B. Abnahme von Fingerabdrücken) erforderlich, kann der Zuschlag nach GOÄ 102 angesetzt werden. Auch dieser ist nur zum einfachen Satz berechnungsfähig.
Neben der GOÄ 101 sind folgende Leistungen im selben Behandlungsfall nicht berechnungsfähig:
GOÄ 100: Vorläufige Leichenschau
GOÄ 48-52: Aufsuchen und Besuch
GOÄ 5-8: Symptombezogene Untersuchung / Ganzkörperstatus
GOÄ 60: Konsiliarische Erörterung
GOÄ 70, 75, 80: Kurze Bescheinigung, Ausführlicher schriftlicher Krankheits- und Befundbericht, Schriftliches Gutachten
Die für die GOÄ 101 relevante Zeit beginnt mit dem Eintreffen des Arztes am Leichenfundort und endet mit der leisten der abschließenden Unterschrift auf der Todesbescheinigung. Alle in diesem Zeitraum durchgeführten Tätigkeiten sind Teil der Leistungszeit. Dazu gehören neben der eigentlichen Untersuchung des Leichnams auch das Gespräch mit Angehörigen, dem Pflegepersonal oder Ersthelfern, das Studium von vorhandenen Krankenunterlagen oder Arztbriefen sowie das sorgfältige und vollständige Ausfüllen der Todesbescheinigung gemäß den landesrechtlichen Vorschriften.
Ja, der Mehraufwand für eine Tätigkeit zu ungünstigen Zeiten wird honoriert, allerdings nicht durch eine Steigerung der GOÄ 101 selbst. Die Ziffer 101 ist immer nur zum 1,0-fachen Satz abrechenbar. Stattdessen können Sie die entsprechenden Zuschläge für Leistungen bei Nacht (G), an Wochenenden (F) oder Feiertagen (H) zusätzlich ansetzen. Diese Zuschläge sind explizit neben der GOÄ 101 berechnungsfähig und gleichen den besonderen Aufwand für die Tätigkeit außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten aus.
Die Abgrenzung hängt ausschließlich von der Dauer der Leichenschau (ohne Anfahrt) ab:
Eine exakte Zeitdokumentation ist daher für eine korrekte Abrechnung unerlässlich.
Hier ist besondere Vorsicht geboten. Nach herrschender Rechtsprechung (u.a. Bundesarbeitsgericht) gehört die Ausstellung einer Todesbescheinigung für im Krankenhaus Verstorbene zu den Pflichten eines angestellten Arztes aus seinem Arbeitsvertrag. Eine private Liquidation der GOÄ 101 gegenüber den Erben ist daher in der Regel nicht ohne Weiteres möglich. Sie ist nur dann zulässig, wenn eine ausdrückliche, schriftliche Zustimmung des Krankenhausträgers (Liquidationsrecht) vorliegt. Ohne diese Genehmigung stellt die private Abrechnung einen Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten dar und kann rechtliche Konsequenzen haben.