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Gebührenordnung für Ärtze (GOÄ)

GOÄ 102: Zuschlag zu den Leistungen nach den Nummern100oder101bei unbekannter Leiche und/oder besonderen Todesumständen (zusätzliche Dauer mindestens 10 Minuten) (ab 1.1.2020)

16.12.2025
|
6
Minuten
Autor(en):
Niklas Tyler
Co-Founder | Doctario
Leander Löw
Co-Founder | Doctario
Samuel Pemsel
Co-Founder | Doctario

Zusammenfassung

Abschnitt:
B
  
Einfachsatz:
1
27.63
Regelhöchstsatz:
Höchstsatz:
Ausschlüsse:

GOÄ Ziffer 102: Die offizielle Definition

Die GOÄ-Ziffer 102 ist ein Zuschlag zu den Leistungen der Leichenschau (GOÄ 100) oder der vorläufigen Leichenschau (GOÄ 101). Sie wurde zum 01.01.2020 in die Gebührenordnung für Ärzte aufgenommen, um den besonderen Mehraufwand abzubilden, der unter bestimmten, erschwerten Bedingungen entsteht.

Der offizielle Leistungstext lautet: "Zuschlag zu den Leistungen nach den Nummern 100 oder 101 bei unbekannter Leiche und/oder besonderen Todesumständen (zusätzliche Dauer mindestens 10 Minuten)".

Die Abrechenbarkeit dieser Ziffer ist an klar definierte Voraussetzungen geknüpft. Analysieren wir die entscheidenden Bausteine der Leistungslegende:

  • Zuschlagsleistung: Die GOÄ 102 kann niemals isoliert abgerechnet werden. Sie ist zwingend an den Ansatz der GOÄ 100 oder GOÄ 101 gebunden.
  • Unbekannte Leiche und/oder besondere Todesumstände: Eines dieser beiden Kriterien muss erfüllt sein. Die Kommentarlage präzisiert diese Begriffe sehr genau.
  • Zusätzliche Dauer mindestens 10 Minuten: Dies ist eine absolute Mindestanforderung. Der durch die besonderen Umstände verursachte Mehraufwand muss nachweislich mindestens 10 Minuten betragen.

Die Kommentierung zur GOÄ liefert hierzu eine prüfungssichere Auslegung, die in der Praxis als verbindlich gilt:

"Eine „unbekannte Identität“ besteht, wenn der die Leichenschau durchführende Arzt, die verstorbene Person nicht persönlich kannte und eine identifizierende Inaugenscheinname Dritter (Angehörige oder Personen, die den Toten kannten) vor Beginn der Leichenschau nicht möglich ist. Als „besondere Todesumstände“ gelten insbesondere der Verdacht auf einen nicht natürlichen oder länger zurück liegenden Tod oder die erschwerte Zugänglichkeit des Toten. Nur wenn die unbekannte Identität und/oder die besonderen Todesumstände einen nachprüfbaren zusätzlichen Zeitaufwand von mindestens 10 Minuten bedingen, darf der Zuschlag abgerechnet werden."

Diese Definitionen sind der Maßstab für jede Prüfung durch Kostenträger und sollten bei der Indikationsstellung und Dokumentation stets beachtet werden.

GOÄ 102 im Praxisalltag: Wann ist der Zuschlag gerechtfertigt?

Die Leichenschau gehört zu den anspruchsvollsten und emotional belastendsten ärztlichen Tätigkeiten. Die GOÄ 102 trägt dem Rechnung, wenn die Umstände besonders herausfordernd sind. Doch wann genau sind die Kriterien erfüllt? Die folgenden Beispiele aus der Praxis schaffen Klarheit.

Typische Praxisbeispiele für die GOÄ 102

  • Unbekannter Verstorbener in der Wohnung: Sie werden zu einem Verstorbenen gerufen, der allein gelebt hat und den Sie nicht kennen. Es sind keine Angehörigen oder Nachbarn anwesend, die die Identität bestätigen können. Sie müssen daher vor der eigentlichen Leichenschau Zeit aufwenden, um persönliche Dokumente (Personalausweis, Krankenversichertenkarte) zu suchen und die Identität zweifelsfrei zu klären. Dieser Prozess dauert 15 Minuten.

  • Verdacht auf nicht natürlichen Tod: Bei der Untersuchung eines Verstorbenen finden Sie Anzeichen, die auf einen Suizid oder ein Fremdverschulden hindeuten (z.B. ungewöhnliche Auffindesituation, Verletzungen). Dies erfordert eine besonders sorgfältige Untersuchung, eine detaillierte Dokumentation der Befunde für die Kriminalpolizei und eine intensive Auseinandersetzung mit der Situation. Der hierdurch bedingte Mehraufwand übersteigt die 10-Minuten-Grenze deutlich.

  • Erschwerte Zugänglichkeit des Leichnams: Ein Forstarbeiter findet eine Leiche in unwegsamem Gelände. Sie müssen sich den Weg zur Fundstelle bahnen, die Leichenschau unter widrigen Bedingungen (z.B. an einem steilen Hang, bei schlechtem Wetter) durchführen. Allein das Erreichen und die sichere Untersuchung des Leichnams erfordert einen erheblichen, messbaren Zeitaufwand.

  • Fortgeschrittene Leichenveränderungen: Der Tod liegt offensichtlich schon mehrere Tage oder Wochen zurück. Die fortgeschrittene Fäulnis erschwert die Untersuchung erheblich und erfordert besondere Vorsichtsmaßnahmen. Die Feststellung der Todesursache und die Identifizierung sicherer Todeszeichen sind dadurch deutlich zeitaufwändiger.

Häufige Fehler und wie Sie sie vermeiden

Bei der Abrechnung der GOÄ 102 kommt es immer wieder zu Rückfragen und Kürzungen. Die häufigsten Fehlerquellen sind:

  1. Fehlender Zeitnachweis: Der Mehraufwand von mindestens 10 Minuten wird nicht dokumentiert. Pauschale Annahmen reichen nicht aus.

  2. Falsche Auslegung von „unbekannt“: Der Verstorbene war zwar kein aktueller Patient, aber aus dem Ort bekannt oder wurde von Nachbarn vor Beginn der Untersuchung identifiziert. In diesem Fall ist das Kriterium „unbekannte Leiche“ nicht mehr erfüllt.

  3. Versuch der Steigerung: Die Ziffer 102 ist eine Zuschlagsposition, die laut Gebührenordnung nicht gesteigert werden kann. Sie wird immer nur mit dem 1,0-fachen Satz abgerechnet.

Praxisbewährter Hinweis: Die Mindestdauer von 10 Minuten bezieht sich explizit auf den zusätzlichen Aufwand, der durch die besonderen Umstände entsteht – nicht auf die Gesamtdauer der Leichenschau. Dokumentieren Sie dies trennscharf!

Abrechnungsrelevanter Hinweis zur Dokumentation

Eine prüfsichere Dokumentation ist der Schlüssel zur Erstattungsfähigkeit. Notieren Sie in Ihrer Akte nicht nur, dass ein besonderer Umstand vorlag, sondern auch, welcher und wie viel Zeit er in Anspruch genommen hat. Ein kurzes, aber präzises Dokumentationsprotokoll ist Gold wert.

Mini-Dokumentationsbeispiel:

Datum, Uhrzeit: 24.05.2024, 15:30 Uhr
Anlass: Leichenschau bei Herrn Mustermann (unbekannt)
Besonderer Umstand: Identität unbekannt, keine Angehörigen vor Ort.
Maßnahme: Identitätsklärung durch Sichtung von Dokumenten in der Wohnung.
Zeitaufwand (Mehraufwand): 15:30 - 15:45 Uhr (15 Minuten).
Ergebnis: Identität durch Personalausweis gesichert.
Nächster Schritt: Beginn der eigentlichen Leichenschau (GOÄ 100) um 15:45 Uhr.

Steigerung und Kombinationen: Was geht, was nicht?

Steigerungsfähigkeit

Die GOÄ 102 ist nicht steigerungsfähig. Gemäß den Abrechnungshinweisen ist für alle Kostenträger ausschließlich der 1,0-fache Satz ansetzbar. Der pauschale Zuschlag deckt den Mehraufwand ab, unabhängig davon, ob er 10 Minuten oder eine Stunde gedauert hat.

Typische und sinnvolle Kombinationen

  • GOÄ 100 oder GOÄ 101: Zwingende Basisleistung.

  • §§ 7, 8 GOÄ (Wegegeld, Reiseentschädigung): Sind für die Anfahrt zum Leichenfundort selbstverständlich berechnungsfähig.

  • Zuschläge E, F, G, H: Zuschläge für Leistungen bei Nacht, an Wochenenden oder Feiertagen können ebenfalls angesetzt werden, da die Leichenschau oft außerhalb der regulären Sprechzeiten stattfindet.

Ausschlüsse

Ein direkter Ausschluss neben anderen Ziffern besteht nicht. Der Ausschluss ist logischer Natur:

Achtung: Die GOÄ 102 kann niemals alleine stehen. Ohne den Ansatz der GOÄ 100 oder 101 im selben Behandlungsfall ist die Abrechnung der GOÄ 102 ausgeschlossen und führt unweigerlich zur Streichung durch den Kostenträger.

Häufig gestellte Fragen

Zählt die telefonische Rücksprache mit der Polizei oder dem Gesundheitsamt bereits zum Mehraufwand für die GOÄ 102?

Nach herrschender Kommentarlage nicht direkt. Der abrechnungsfähige Mehraufwand von mindestens 10 Minuten muss sich unmittelbar aus den in der Leistungslegende genannten Gründen ergeben: der Klärung der Identität einer unbekannten Leiche oder den besonderen Todesumständen (z.B. erschwerte Zugänglichkeit, Verdacht auf nicht natürlichen Tod). Eine rein organisatorische Kommunikation nach Abschluss der eigentlichen Untersuchung fällt in der Regel nicht darunter. Wenn die Rücksprache jedoch zwingend zur Identitätsklärung notwendig ist, weil Sie z.B. über die Polizei an Daten zur Abgleichung gelangen, kann dies nachvollziehbar als Teil des Mehraufwands dokumentiert werden.

Was genau fällt in der Praxis unter den Begriff „erschwerte Zugänglichkeit“?

„Erschwerte Zugänglichkeit“ ist mehr als nur eine Wohnung im vierten Stock ohne Aufzug. Gemeint sind hier Umstände, die die Durchführung der Leichenschau selbst physisch behindern oder gefährden. Klassische Beispiele sind:

  • Der Leichenfundort ist nur über unwegsames Gelände erreichbar (z.B. Wald, Bahndamm, Baustelle).
  • Der Leichnam befindet sich an einer schwer zugänglichen Stelle (z.B. unter einem Fahrzeug, in einem engen Schacht).
  • Die Umgebung ist kontaminiert oder extrem unhygienisch (z.B. „Messie-Wohnung“), was das Tragen von spezieller Schutzausrüstung und ein besonders vorsichtiges Vorgehen erfordert.

Die Dokumentation sollte den spezifischen Grund der Erschwernis kurz beschreiben.

Warum kann ich die GOÄ 102 nicht steigern, obwohl mein tatsächlicher Mehraufwand 45 Minuten betrug?

Die GOÄ 102 ist als Pauschale konzipiert. Die Gebührenordnung sieht für diesen Zuschlag keinen Steigerungsfaktor vor. Der Gesetzgeber hat hier einen festen Betrag (den 1,0-fachen Satz) festgelegt, der den durchschnittlichen Mehraufwand abgelten soll. Die Mindestdauer von 10 Minuten ist dabei lediglich die Schwelle für die grundsätzliche Berechnungsfähigkeit. Jeder darüber hinausgehende Zeitaufwand ist mit der Pauschale abgegolten. Eine abweichende Vereinbarung nach § 2 GOÄ ist bei dieser Ziffer in der Praxis unüblich und würde bei Kostenträgern auf erhebliche Widerstände stoßen.

Genügt es, in der Rechnung als Begründung für GOÄ 102 „Besondere Todesumstände“ anzugeben?

Nein, das ist in der Regel nicht ausreichend und provoziert Nachfragen. Während die Rechnung selbst aus Datenschutzgründen nicht zu detailliert sein sollte, muss Ihre interne Dokumentation absolut prüfungssicher sein. Im Falle einer Nachfrage durch PKV oder Beihilfe müssen Sie belegen können, welcher konkrete Umstand vorlag (z.B. „Verdacht auf Intoxikation“, „Leiche in unwegsamem Gelände“) und dass dieser einen Mehraufwand von mindestens 10 Minuten verursacht hat. Eine gute Praxis ist es, in der Rechnung einen kurzen, neutralen Hinweis zu geben, z.B. „Mehraufwand gem. Leistungslegende erfüllt“. Die Details verbleiben in Ihrer Akte.

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